Als es sonst niemand tat, fing die Kirche unsere Autorin auf – mit ihrer sinnenfrohen Messe. Heute hält sie zum Katholizismus und fordert:
Lasst mich in dem Verein nicht allein
VON MIRIJAM GÜNTER

Du bringst den Eimer aber wirklich zurück?« Die Küchenfee im Kloster Himmerod sah mich flehentlich an. »Aber klar doch!«, sagte ich. Der Mönchskoch ließ nicht locker: »Wirklich, wir haben nicht mehr so viele von den Plastikeimern und wir brauchen die dringend.« Ich schnappte mir den Eimer Spaghetti Bolognese und fuhr mit dieser Essensspende zurück nach Köln in unser linkes Hausbesetzerprojekt mit den hungrigen Besetzern.
Am nächsten Tag wurden wir um sechs Uhr am Morgen geräumt, das Haus wurde mitsamt dem Eimer zugemauert. Zur Erholung fuhr ich nach der Räumung mit einigen meiner Mitbesetzer zurück ins Kloster Himmerod in der Eifel. Ein paar der Mönche schlossen uns richtig ins Herz, und so verwunderte es uns nicht, als sich einer der Mönche einmal zu uns gesellte und erzählte, er habe gerade einen Besucher in die Flucht geschlagen. Dieser habe sich erkundigt, ob es stimmen würde, dass sich Sympathisanten der Hausbesetzerszene im Kloster aufhalten würden. Er habe ihm daraufhin geantwortet, nein, die Hausbesetzer höchstpersönlich seien zu Gast. Der Besucher habe sich daraufhin in seinen Mercedes geschwungen und ward nicht mehr gesehen. Während der Mönch uns das erzählte, amüsierte er sich immer wieder und am Ende hatte er vor Lachen Tränen in den Augen.
Unser Haus in Köln war wahrscheinlich das einzige besetzte Haus in Deutschland, in dem ein Kreuz hing. Wenn andere dort ihre Götter aufhängten, dann durfte ich das ja wohl auch, fand ich. Dass ich in die Kirche ging, versetzte so einige meiner linken Freunde in Schnappatmung, aber das war ich schon aus meiner früheren Zeit in diversen Heimen gewohnt. Dass ich in die Kirche ging (und dann auch noch in die katholische!), machte meine Betreuer in jenen Heimen fassungslos.
Rein zufällig hatte ich herausgefunden, dass ich die Erwachsenen in den Einrichtungen damit ärgern konnte, wenn ich in die Messe ging, und so wurde ich erst recht Kirchgängerin. Ganze Akten wurden in den Heimen über mich und dieses Thema verfasst und Supervisionen wurden abgehalten, wo ich mich inmitten von Erwachsenen dafür verteidigen sollte, warum ich in die Kirche ging. Meine Sympathien für den Berufsstand der Pädagogen wuchsen dadurch nicht. Ich glaube, damals ist bei mir der Satz entstanden: Ihr verachtet meinen Gott, weil er der Einzige ist, der zu mir hält.
Im Nachhinein ist das eh etwas skurril: Andere färbten sich die Haare, gingen auf Demos, hörten provokante Musik, um zu rebellieren, ich musste nur in die Kirche gehen. Wenn die Betreuer mich nervten, zwang ich sie, mich morgens in die Kirche zu fahren. Dann blieb ich zwei Stunden im Gebäude, und sie mussten draußen im Auto auf mich warten. Das steigerte die Sympathien der Betreuer für mich natürlich auch nicht.

Meine neuen linken Freunde verstanden mich eigentlich auch nicht, aber das lag auch daran, dass ich nicht wie sie aus dem Bildungsbürgertum kam. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund landete ich auf einer anarchistischen Mailingliste, wo es kurz vor Weihnachten noch mal so richtig gegen die Kirche ging. Das las ich mir eine Weile durch und schrieb dann meine Meinung dazu. Ein Sturm der Entrüstung brach über mich herein, gestärkt aus meiner Heimzeit nahm ich das mit Humor. Ein anarchistischer Freund von mir griff ein und schrieb: »Wo ist das fucking Problem? Ich geh zum FC und die Miri in die Kirche.« Dann war Ruhe. Das war der Freund, der später zu mir sagte, er sei atheistischer Katholik.
Ich finde, dass es nichts Beruhigenderes gibt als einen katholischen Gottesdienst. All die Rituale, der Gesang, das Läuten der Glocken, das Hinknien und Aufstehen, das gemeinsame Beten und Singen, viel Weihrauch und Bilder und Blumen, brennende Kerzen: Unsere Show ist einfach die beste. Natürlich passiert auch jede Menge Scheiße. Amtsträger und andere Menschen in der Kirche, die ihre Macht missbrauchen, um Verbrechen an anderen Menschen zu begehen, gehören in den Knast! Fertig! Und die Menschen, denen unverzeihliche Verbrechen angetan worden sind, sind unverzüglich ohne bürokratisches Hickhack zu entschädigen.
Ich halte aber zu meiner Kirche, auch wenn ich weiß, dass große Scheiße abläuft. Ich habe praktisch meine Sozialisierung durch die Kirche und durch Kommunisten erfahren. Mir hat die Kirche trotz allem immer Halt gegeben und sie war Heimat für mich. Der einzige Ort in Deutschland, wo ich aufgrund meiner dunklen Hautfarbe noch nicht diskriminiert wurde. Dort konnte ich in jungen Jahren mit Militärhosen auftauchen und heute in Zimmermannsschlaghosen. Ich erntete zwar komische Blicke, aber der Katholik gewöhnt sich offenbar schnell an seltsame Leute. Dass man von außen nicht gerade mit Rosen bedacht wird, wenn man sich zur katholischen Kirche bekennt – geschenkt! Wirklich überrascht hat mich aber die interne Kritik am eigenen Laden: Im Rahmen meiner Literaturwerkstätten in einem Gefängnis lernte ich einen katholischen Seelsorger (keinen Priester) kennen, der sich in seinem Kirchenhass regelrecht überschlug. Priester, die in ihrer Freizeit mit einem Kollar herumliefen, nannte er verächtlich »Kalkleisten«, und er hatte auch sonst kein einziges gutes Wort für die Kirche übrig. Als ich meinte, er könne doch austreten, wenn er das alles so furchtbar finde, sagte er nur, er sei doch nicht bescheuert, die Hand abzuhacken, die ihn ernähren würde.

In der Schule hatte ich auch so meine Schwierigkeiten und musste diese häufiger wechseln. Aber die Religion hatte ich immer auf meiner Seite. Eigentlich waren es auch immer diese Lehrer, die mich toll fanden. Sie standen bei Klassenkonferenzen wie eine Wand hinter mir. Einmal sagte eine Sitznachbarin von mir zu unserem Religionslehrer: »Ich soll Ihnen von meiner Mutter ausrichten, den Arsch von Gott gibt es gar nicht, sonst gäbe es doch nicht so viele Kriege.« Bevor der Lehrer etwas sagen konnte, sprang ich ein: »Also wenn Gott ein Arsch ist, dann muss es ihn doch geben!« Mein Religionslehrer sah mich an: »Bravo, Mirijam!« Das war für mich, die Lob in der Schule nicht gewohnt war, wie ein erster Literaturpreis.
Wenn ich irgendwo hinfahre, gucke ich immer, wo es die nächste katholische Kirche gibt und wann ein Gottesdienst stattfindet. Andere suchen sich einen Fußballverein, schauen, ob es eine antirassistische Szene gibt oder eine gute Kneipe. Das mache ich auch, aber erst, wenn ich die Kirche gefunden habe. Austreten kann jeder, drinbleiben und um jeden Menschen kämpfen heißt die Devise. Ich kenne tatsächlich Leute, die sich monatelang auf ihren Austritt vorbereitet haben. Dann sind sie zum Amt gegangen und die Sache war in ein paar Minuten erledigt.
Ich habe es in persönlichen Gesprächen schon geschafft, Menschen davon zu überzeugen, dass sie in der katholischen Kirche bleiben müssen. Und wenn es mit dem Argument ist: »Ihr könnt mich doch nicht in dem Verein alleinlassen.« Außenseiter hat die katholische Kirche bitter nötig.

Nach dem Eimer hat das Kloster Himmerod übrigens nie mehr gefragt.

Die katholische Show ist die beste

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