Mirijam Günter, in Köln und in vielen anderen beinahe genau so schönen Städten aufgewachsen, absolvierte in mehreren Stationen letztlich erfolgreich die Hauptschule, gekrönt mit einem Realschulabschluss. Nach für alle Beteiligten deprimierenden Versuchen, durch das Erlernen eines ordentlichen handwerklichen Ausbildungsberufs im normalen Leben zu landen, entschied sie sich endlich, ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen – zu schreiben. Und das äußerst erfolgreich: Für das Manuskript ihres Debütromans ‚Heim‘ erhielt sie 2003 den Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis. Sie versteht es in einer begeisternden Manier, den meist jugendlichen Zuhörern ihrer Lesungen einerseits einen Eindruck dessen zu geben, was den Beruf der Schriftstellerin ausmacht, als auch klar zu machen, dass es möglich sein kann, einen Weg wie ihren zu gehen – unabhängig von der Biographie und gegen alle Prognosen.

Seit 2006 bietet Mirijam Günter Literaturwerkstätten an. Das sind Projekte, bei denen sie mit zumeist jugendlichen Schülern oder Straftätern lyrische Texte oder einen (Jugend-) Roman liest – je nach Dauer des Projekts – und sie dann zu einem Gruppengedicht, welches die Jugendlichen am Ende gemeinsam präsentieren, führt.

Die Jugendlichen kommen in dieser Woche oft erstmals überhaupt dazu, auch außerhalb des Projekts Texte zu schreiben, die sie dann am Ende der Woche Mirijam Günter übergeben. So kommen ganze Mappen mit außergewöhnlichen Texten zusammen.

Zudem lesen die Jugendlichen – einmal angestachelt – auch gerne und viel während dieser Zeit: Jugendbücher, Klassiker, Gedichte.

Derart angespornt sind zum Teil wunderschöne Texte entstanden, Gedichte, deren Autorenschaft die meisten Menschen diesen von der Gesellschaft Verstoßenen bestimmt ebenso wenig zugetraut hätten, wie das begeisterte Lesen der Lyrik von z.B. Heine, Fried und Schiller zuvor.

Jürgen Becker, Franz Meurer und Martin Stankowski formulieren das in ihrem Buch „Von wegen nix zu machen…“ (KiWi 2011) so: (Ausschnitt)

„Mirijam Günter (…) erreicht die, die aufgrund von sozialer Herkunft oder Migrationshintergrund keine Berührung mit Literatur und wenig Chancen auf Bildungserfolg haben. Aus eigener Initiative widmet sich Mirijam Günter der Sprach- und Leseförderung und trägt die Auseinandersetzung mit Dichtern und Denkern in die bildungsfernen Gesellschaftsgruppen. Durch ihren eigenen biografischen Hintergrund findet sie einen Schlüssel zu den Teilnehmern, und diese finden einen Zugang zu Heine, Schiller und Goethe, zu Texten und Gedichten und ihrem eigenen sprachlichen Ausdrucksvermögen. Vom Ergebnis dieser Literaturwerkstätten profitieren alle. Doch das Aufbrechen der Bildungsbenachteiligung kostet Geld. Und so kämpft die Autorin unermüdlich um Fördermittel für ihre Projekte. Was sie dabei immer wieder feststellen muss: Den sogenannten „Risikolagen“ Erwerbslosigkeit, Geringverdienst und niedriges Bildungsniveau steht bei manchen Trägern eine Art mentaler „Risikolage“ gegenüber. Denn viele können sich einfach nicht vorstellen, dass Literatur und Haupt- und Förderschule zusammen passen.“

Veröffentlichungen

  • Heim. dtv, München 2004, ISBN 978-3-423-70884-5 (Roman)
  • Die Ameisensiedlung. dtv, München 2006, ISBN 978-3-423-78212-8 (Roman)
  • Die Stadt hinter dem Dönerladen. Größenwahnverlag, Frankfurt 2015, ISBN 978-3-95771-051-2 (Roman)
  • „Und ich sehe ihre Wut“ – Mirijam Günter in DIE ZEIT Nr. 27/2016, 23. Juni 2016
  • Norbert Niemann, Thomas Kraft (Hrsg. für den Verband deutscher Schriftsteller in Bayern – VS Bayern in ver.di): Keine Lust auf Untergang – Gegen eine Trivialisierung der Gesellschaft, Autoren gehen in die Offensive. Langen/Müller, München 2010, ISBN 978-3-7844-3245-8 ( Essaysammlung)
  • Fremd im eigenen Land. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 23. Dezember 2004 (Essay)
  • War Heine doch ein Rapper? In: Süddeutsche Zeitung. 29. August 2009
  • Einmal Bürgertum und zurück. In: Süddeutsche Zeitung. 22. Mai 2010
  • Mit Träumen sind Sie bei uns an der falschen Stelle – Warum sich so viele Migrantenkinder und Hauptschüler abgehängt fühlen. Ein Bericht von ganz unten. In: Süddeutsche Zeitung. 23. Oktober 2010
  • Hinter 1000 Stäben meine Welt. Radio-Feature, WDR, 26. September 2008
  • Orientierungsmarken der Wirklichkeit, 50 Jahre Deutscher Jugendliteraturpreis – Anlass zum Gespräch, Interview mit Prof. Dr. Otto Brunken. 12. Mai 2005