Mirijam Günter

Meinung 
Ich lebe mit dunkler Hautfarbe in diesem weißen Land, spreche keine andere Sprache als Deutsch und habe verinnerlicht: Ich gehöre nirgendwo dazu.

Ich brauche keine Statistiken von Professoren und Menschen mit Doktortiteln, die mir erklären, dass ich als nicht weiße Person in Deutschland Diskriminierung ausgesetzt bin. Ich spüre es fast täglich. Sei es in Läden, wo ich unter Beobachtung von Ladendetektiven stehe, oder in der Bahn, wo mein Fahrausweis ganz genau mit meiner Bahncard geprüft wird, bevor ich im Gegensatz zu den Biodeutschen einen Sitzplatz gefunden habe.

Über rassistische Kontrollen in Bahnhöfen, Innenstädten und Parks berichten mir migrantische Jugendliche in meinen Literaturwerkstätten immer wieder. Das ist leider ihre und meine Realität. Es scheint der Regelfall zu sein, aber ich werde diesen Zustand niemals als normalen Zustand akzeptieren. 2015 steckten mir weiße Menschen ungefragt Geld zu und fragten mich in gebrochenem Deutsch, ob sie mir helfen könnten. Ein halbes Jahr später wurde ich in diesem Land als Scheiß Flüchtling beschimpft und mir wurde vor die Füße gerotzt.

Ein Ort der Einsamkeit

Wie reagieren die betroffenen Menschen darauf? Nicht nur Jugendlichen in meinen Literaturwerkstätten berichten mir, dass sie sich in ihre Community zurückziehen, wo sie Trost und Solidarität erfahren. Dort verbindet sie nicht nur eine gemeinsame Sprache. Aber wenn man diese Community nicht hat, weil man, wie ich, mit dunkler Hautfarbe in diesem weißen Land keine andere Sprache als Deutsch spricht? Dann hast du von Kindesbeinen an den Ort der Einsamkeit betreten, den du nie wieder verlassen wirst. Man hat von irgendwem einen deutschen Namen verpasst bekommen, ist irgendwie in dieses weiße Land mit einer dunklen Hautfarbe gekommen. Man hat auf jeden Fall früh gemerkt, dass da anscheinend etwas mit einem nicht stimmt, man so anders ist.

Wochenlanges Herumsitzen im türkischen Unterricht, obwohl man gar kein Türkisch kann? Klar! Abgeschoben in die Ausländerklassen oder wie man die Klassen auch immer nennt? Klar. Wie oft wurde mir gesagt, dass ich dankbar und froh sein dürfe, hier in Deutschland zu leben! Aber für mich stellt sich die Frage: Ist es wirklich gut, ein dunkelhäutiges Kind mutterseelenallein in einer weißen Mehrheitsgesellschaft aufwachsen zu lassen und es somit von klein auf Diskriminierung und Einsamkeit auszusetzen?

Vielen geht es so

Es ist ja nicht nur die rassistische Diskriminierung, mir reicht es schon, dass ich ständig gefragt werde, woher ich komme. Ich zucke meistens die Schultern, auch die Frage nach Eltern und Großeltern kann ich nicht beantworten. Eine Zeitlang habe ich was von Hugenotten erzählt, um mich zu schützen. Wie viele andere habe ich auch versucht, mir ein deutsches Aussehen durch Haarfärben etc. zu geben. Und ich dachte viele Jahre, ich wäre die einzige Person, der es in Deutschland so geht. Nirgendwo dazuzugehören. Das ist natürlich Quatsch. Ich habe viele kennengelernt. Bei einigen ist es gut gegangen, andere wiederum haben eine solche traumatische Biografie, dass sie in ihrem Leben keine Heilung mehr finden.

Warum wir in diesem Land sind? Einige wissen es nicht. Andere Betroffene wurden jahrelang um ihre Herkunft belogen. Manche erfahren erst als Erwachsene, dass sie gar nicht aus dem Land kommen, von dem man ihnen jahrelang erzählt hatte. Da stehst du fassungslos in einem Konsulat und erfährst, das war alles eine Lüge, die man dir jahrelang aufgetischt hat. Eigentlich existierst du gar nicht. Du sprichst aber nur Deutsch. Sagen Sie mal in Deutschland, dass Sie nicht wissen, wann und wo Sie geboren sind! Das gibt es nicht, hörst du von allen Seiten. Auf Webseiten stehen dann Daten über dich, und die werden fleißig von allen abgeschrieben. Und weil alle es abschreiben, ist es doch wahr, weil es doch woanders steht.

Kein Außenseiter sein

Wenn du mit einer anderen Hautfarbe in Deutschland bei weißen Eltern aufwächst, hast du ein Problem. Wie oft wirst du gefragt, das sind aber doch gar nicht deine Eltern? Weiß eigentlich einer der Fragesteller, was er dem Kind damit antut? 
Bis heute bin ich neidisch auf meine migrantischen Bekannten, die sich in ihre Community zurückziehen können. Denn auch der Linkeste aller Linken fragt dich spätestens nach dem dritten Bier, woher du eigentlich kommst.

Was willst du denn als Kind? Bestimmt kein Außenseiter sein. Irgendwo dazugehören. Manchmal fragt man sich, was wohl passiert wäre, wenn du da aufgewachsen wärest, wo man angeblich herkommt? Wir werden es nicht herausfinden. So bleibt halt eins: Wir leben mit einer falschen Hautfarbe in einem mehrheitlich weißen Land, sind deutsch sozialisiert, bauen den Nubbel, sprechen Dialekte, werden vielleicht berühmt, nur Deutsche, das werden wir nie. Denn deutsch ist man nicht mit einer dunklen Hautfarbe. Du hast verinnerlicht: Ich gehöre nirgendwo dazu.

Sagen Sie mal in Deutschland, dass Sie nicht wissen, wann und wo Sie geboren sind!

Beitragsnavigation